Sprungaufschlag von Scott Touzinsky. Foto: www.foto-herfet.de

29Mar2012

High Noon beim Klassikerduell - Berlin bangt um Touzinsky

Er hat es im dritten Satz noch einmal probiert, doch es ging einfach nicht mehr. Berlins Olympiasieger Scott Touzinsky hatte sich im zweiten Durchgang des dritten Play-off-Halbfinalspiels der BR Volleys gegen den VfB Friedrichshafen an Wade und Knie verletzt und musste verletzt vom Feld. Berlins Bestem blieb nur, mit anzusehen, wie sein Team nach einem furiosen Start mit zwei Satzgewinnen zunächst geschockt reagierte und den dritten Durchgang abgab. Doch im vierten Satz vertraten ihn seine Kollegen hervorragend und landeten beim 3:1 (27:25, 25:16, 18:25, 25:22)-Auswärtssieg den ersten Erfolg der Hauptstädter am Bodensee seit fünf Jahren.

Im vierten Duell am Sonntag könnte Berlin nun nach zwei Siegen und einer Niederlage gegen Serienmeister Friedrichshafen den sensationellen Einzug ins Finale klarmachen. Dort wartet Generali Haching, das am Mittwochabend in einem engen Match auch die dritte Halbfinalbegegnung gegen den Moerser SC gewann und zwar mit 3:2 (20:25, 23:25, 25:14, 25:21, 15:11). Doch der Preis für den Berliner Auswärtsstriumph wäre hoch, falls Touzinsky am Sonntag ausfiele. Eine genaue Diagnose steht noch aus. Denn wie kein Zweiter verkörpert er die neue Siegermentalität bei den Volleys.

Vielleicht ist die Geschichte mit dem Konto das stärkste Symbol. Vielleicht zeigt sie am deutlichsten, wie sehr sich Scott Touzinsky auf einer Mission fühlt. Er hatte sein Konto bei einer Berliner Bank nicht aufgelöst, damals, im Sommer 2011, nachdem ihm Kaweh Niroomand höflich einen Schlag in die Magengrube versetzt hatte. „Scott, es reicht nicht für einen neuen Vertrag”, hatte Niroomand, der Manager der BR Volleys, freundlich, respektvoll gesagt. Aber für den Außenangreifer Touzinsky aus St. Louis, Missouri, Olympiasieger 2008 mit den USA, war es ein Schock.
Er wechselte nach Puerto Rico, aber sein Konto blieb bestehen. Berlin, das war keine abgeschlossene Vergangenheit. „Wahrscheinlich war es unbewusst ein Zeichen”, sagt der 29-Jährige und lächelt. Er trug die Botschaft die ganze Zeit mit sich herum, als er in Puerto Rico war; sie schwirrte in seinem Kopf wie eine permanente Mahnung. „Ich habe meinen Job in Berlin noch nicht zu Ende gebracht”, das war die Botschaft.

Seit Januar spielt er wieder für die Volleys, seit Januar arbeitet er verbissen, effektiv und aggressiv an seinem neuen Image. „Ich möchte zeigen, dass ich mehr Qualität besitze als ich in der vergangenen Saison gezeigt habe”, sagt der 29-Jährige. Deshalb hat er höher dotierte Angebote aus Russland, der Türkei und aus Katar abgelehnt. Bei den Volleys ist er inzwischen der große Leader. Schon in der Rückrunde hat der Olympiasieger mit harten Angriffsbällen und wuchtigen Sprungaufgaben überzeugt, in den Play-offs füllt er die Rolle der großen Führungsfigur der Volleys noch besser aus.

So cool wie John Wayne nach einem Revolverduell
Es gibt eine Szene, die alles ausdrückt: Selbstbewusstsein, Aggressivität, Führungsanspruch. Max-Schmeling-Halle Berlin, das zweite Halbfinal-Spiel gegen den Deutschen Meister VfB Friedrichshafen, der vierte Satz. Zuspieler Kawika Shoji passt den Ball zu Touzinsky, der schraubt sich am Netz hoch und schlägt den Ball an zwei Friedrichshafener Blockspielern vorbei ins Feld. Dann dreht er ab mit einer Miene so cool wie John Wayne nach einem erfolgreichen Revolverduell auf einer staubigen Hauptstraße im Wilden Westen.

In diesem Spiel bombardierte der US-Amerikaner den VfB mit seinen harten Sprungaufgaben regelrecht und brachte die Friedrichshafener Annahme ins Wackeln, er schlug einen Angriffsball nach dem anderen. Er zog die anderen mit, Urpo Sivula auf der Diagonalposition, Björn Höhne im Außenangriff, Ricardo Galandi im Mittelblock. Die Berliner gewannen das Spiel 3:2, und Touzinsky hatte enormen Anteil daran, dass die Berliner am Sonntag in der Schmeling-Halle das vierte Halbfinal-Spiel bestreiten können und nun sogar die Finalteilnahme im Visier haben.
„Ach was, ich habe doch nur meinen Job gemacht“, das war die Reaktion von Touzinsky auf dieses Spiel. „Ich bin der Leader, auch ohne Kapitänsbinde, ich pusche die Mannschaft“, sagte er. Das klingt wie der Auftritt eines Egoisten, der sich selber anbetet. Aber dieses Bild ist falsch. „Scott ist ein absoluter Teamplayer. Er ist der Typ, den man sich in einer Mannschaft wünscht”, sagt Niroomand. „Er ist ein sehr sozialer Mensch”, sagt Trainer Mark Lebedew. Und Touzinsky sagt: „Wir verlieren als Team und wir gewinnen als Team. Und wenn es der Mannschaft hilft, wenn ich den Mund halte, dann bin ich still.” Na ja, der letzte Satz ist natürlich auch ein wenig Koketterie.

Touzinsky will seine Karriere in Berlin beenden
Er soll ja nicht den Mund halten. Er soll ja die Mannschaft durch Körpersprache und Emotionalität führen, deshalb haben sie in ja im Winter zurückgeholt bei den Volleys. In der vergangenen Saison war er zu brav, zu passiv. „Ich hatte Schulterprobleme”, sagt Touzinsky. Es klingt wie eine lahme Erklärung. Er weiß es selber, außerdem will so etwas niemand hören. Zurück gekehrt ist ein anderer Touzinsky. „Ich war richtig sauer auf mich, weil ich nicht optimal gespielt habe”, hatte er im Winter erzählt. Schon zwei Spiele später erklärte Lebedew: „Er ist körperlich viel besser als in der vergangenen Saison. Er ist ein Leader-Typ. Durch seine Routine und Ausstrahlung hat er großen Einfluss auf das Team.” Touzinsky, das ist dieser Typ, der jetzt auffällt. Bei Sponsorenterminen wird Niroomand wohlwollend auf den US-Amerikaner angesprochen.
Touzinsky organisierte vor den Play-offs im Trainingslager in Kienbaum nicht bloß abendliche Kartenrunden und marschierte in der Spitzengruppe, als die ganze Mannschaft in die Sauna schlappte, er sagt auch den jüngeren Spielern, wo’s lang geht. Im Training verpasste er Kawika Shoji mal unwidersprochen einen Rüffel („er hat nicht zurück gemault”), und nach dem zweiten Halbfinal-Spiel in Berlin stutzte er auch den eingewechselten Björn Höhne in wenigen Sätzen auf Normalmaß. „Björn denkt, dass er immer von Anfang an auf dem Feld stehen müsste. Aber er ist noch jung, er muss noch hart an sich arbeiten. Er muss noch lernen, dass er in dieser Mannschaft eine Rolle zu erfüllen hart.” Er muss den Einwechselspieler geben, der sofort präsent ist. Das ist sein Job, sagt Touzinsky, nichts anderes.
Und wenn es nach dem Kapitän ohne Kapitänsbinde geht, dann hat er noch viel Zeit, den jungen Höhne zu erziehen. Touzinskys Vertrag läuft bis Saisonende. „Aber wenn ich in Berlin meine Karriere beenden könnte”, sagt der 29-Jährige, „dann wäre das super.”

Autor: Frank Bachner

Die bisherigen Ergebnisse der Halbfinals
Bundesliga Männer (Play-off-Halbfinals)
Spiel 1
Generali Haching – Moerser SC 3:0 (25:17, 25:21, 25:15)
VfB Friedrichshafen – BR Volleys 3:1 (25:20, 25:16, 23:25, 27:25)
Spiel 2:
BR Volleys - VfB Friedrichshafen 3:2 (23:25, 21:25, 25:19, 25:18, 15:12)
Moerser SC - Generali Haching 1:3 (23:25, 25:23, 23:25, 18:25)
Spiel 3:
Generali Haching - Moerser SC 3:2 (20:25, 23:25, 25:14, 25:21, 15:11)
VfB Friedrichshafen - BR Volleys 1:3 (25:27, 16:25, 25:18, 22:25)

Die nächsten Termine
Bundesliga Männer (Play-off-Halbfinals)
Spiel 4:
01.04. 16:00 Uhr BR Volleys - VfB Friedrichshafen (Max-Schmeling-Halle)
Mögliches Spiel 5:
04.04. 20:00 Uhr VfB Friedrichshafen - BR Volleys (ZF Arena)

Von:  DVL

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