Bom dia aus Rio!

VM-Chefredakteur Klaus Wegener schreibt auf www.volleyball.de in einem Blog über Erlebnisse bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro.

Raubüberfall in der Buslinie 196 C

Claudio, Silvania, Klaus und Marcus (von links) vor der Polizeistation in Guapimirim

Nun hat es mich also erwischt: Raubüberfall im Linienbus 196 C bei der Fahrt von Guapimirim zum Terminal Central in Rio de Janeiro. Isa und Michael, unsere Apartment-Vermieter in Santa Teresa hatten uns (meine Frau, die ein paar Tage mit in Rio ist, und zwei Freunde aus Münster) eingeladen in ihr „Haus Waldesruh”, etwa 75 Kilometer nördlich von Rio. Guapimirim ist eine Gemeinde im Großraum der Olympia-Stadt, der Linienbus fährt alle halbe Stunde.

Am Dienstagmorgen kurz nach acht startete meine Rückfahrt, nach einigen Haltestellen durch den Ort waren wir etwa 15 Fahrgäste, darunter die fünf Jahre alte Marina, die mit der Mama Olympia-Flair schnuppern wollte. Kurz nach der Ortsausfahrt wurde die friedliche Stimmung im Bus jäh zerstört. Ich hatte gerade mein Smartphone herausgeholt und schrieb meiner Tochter: „Alles easy hier in Rio.” Zum Senden kam ich nicht mehr, laute Stimmen ließen mich aufhorchen und ich dachte, ich sei in einem schlechten Film gelandet. Ich schaute direkt in den Lauf einer Pistole. Binnen weniger Minuten lief das ab, was ich mir im Vorfeld der Spiele wiederholt ausgemalt hatte: Ein Überfall.

Ich saß in der ersten Reihe und schaffte es, ruhig zu bleiben. Ein Drehkreuz, durch das nur kommt, wer sein Ticket bezahlt hat, hinderte die beiden jungen Männer (etwa 17, 18 Jahre alt) an einem weiteren Vordringen in den Bus. Dem Fahrer Claudio hielten sie die Pistole an den Kopf, er musste weiterfahren. Uns schrien sie an: „E um assalto passa tudo, vai morrer!” Was übersetzt heißt: „Das ist ein Raubüberfall, alle werden sterben.”

Auszug aus dem Polizeireport zum Raubüberfall

Wir Fahrgäste reagierten besonnen, jeder gab etwas ab, Geld, Handys, Uhren. Mein Smartphone wechselte den Besitzer, der Busfahrer gab die Ticketeinnahmen ab. Dann hielt er an, die Ganoven suchten das Weite. Claudio fuhr zurück in den Ort zur nächsten Polizeistation, wo es geschlagene dreieinhalb Stunden dauerte, die Personalien und Aussagen der Geschädigten aufzunehmen. Dass es so lange dauerte, lag nur an der elend langsamen Datenverbindung des Reviers, nicht an der Schnelligkeit der agilen Polizeiinspektorin Silvania Carneiro. Auf jeden Fall hatten wir Zeit, den Raub zu verarbeiten. Silvania kann englisch, Marcus (48), Physiotherapeut aus Botafogo, ebenfalls, und dann war noch Busfahrer Claudio da, dessen Worte mir übersetzt wurden. Und natürlich der Journalist aus Alemanha, bei dem sich alle entschuldigten. „Wofür”, habe ich gefragt: „Es ist doch nicht Eure Schuld.”

Ich habe viele interessante Dinge erfahren. Claudio fährt seit acht Jahren Bus, es war der erste Raubüberfall für ihn. „Wir Fahrer kennen das Risiko, wir müssen aber leider unserer Busgesellschaft alle Ticketgelder ersetzen.” Claudio verdient etwa 2200 Reais, knapp 630 Euro. Heute hat er ungefähr 150 Reais verloren. Als ich ihm zehn Reais für mein Ticket geben will, weil er mir leid tut, nimmt er sie nicht an.

Marcus hat seinen herzkranken Vater besucht, sonst fährt er immer mit dem Auto, heute hat er den Bus gewählt. Marcus lebt und arbeitet in Rio, wo mehr als 80.000 Sicherheitskräfte unterwegs sein sollen. „Es ist schon bizarr”, sagt er, „dass ich mich zur Zeit so sicher fühle in meiner Stadt wie noch nie.” Der Überfall ereignete sich außerhalb Rios. Michael Ende, unser Vermieter, lebt seit über 30 Jahren in Brasilien, hat Fotoreportagen und Geschichten für das GEO-Magazin, den Stern und viele andere produziert, er weiß wie die Uhren ticken: „Für die Zeit der Spiele sind viele Kriminelle aus der Stadt vertrieben worden, vielleicht sind sie deshalb jetzt im Umland unterwegs.” Er fährt die Route der Linie 196 C seit 15 Jahren, „da ist noch nie was passiert”.

Das Stadion an der Copacabana

Silvania erzählt von der Polizeiarbeit. Dass die Computer alt seien, dass die Unterstützung aus der Stadt fehlt und wie es jungen Kriminellen in der Regel ergeht: „Viele werden erschossen, auch von der Polizei, manche gehen in Bandenkriegen unter, die meisten werden kaum älter als 30.” Keine guten Aussichten. Wenn ein Polizist im Bus gesessen hätte, wäre der Raub garantiert anders ausgegangen. Der hätte was tun müssen, wer weiß, ob dann Blut geflossen wäre.

Als uns Claudio zu einem anderen Bus bringt, trifft er einen Freund. Jorge, Anfang 30, wurde drei Mal überfallen. Beim letzten Mal schlugen ihn die Täter so übel zusammen, dass er seither berufsunfähig ist.

Ich denke, dass ich viel Glück gehabt habe, und mir fällt der erste Blog Zwischen Himmel und Hölle ein: Die Bilder von der schönsten Stadt der Welt und der ungesunden Mischung aus Armut, Kriminalität und Gewalt. Ich bin gespannt, wie es am Ende tatsächlich gewesen sein wird. Nachdem ich ein Stück der schlechten Seite erlebt habe, bin ich froh, wieder im Beachstadion zu sein. In der gesicherten Arena geht es friedlich und fröhlich zu. Hoffentlich bis zum Ende der Spiele.

Leider nicht mehr alles „Tudo bem“.

Ihr Klaus Wegener

p.s.: Ich habe es zum Abschied noch geschafft, Claudio meinen Zehn-Reas-Schein in die Brusttasche seines Polohemds zu stecken.

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