Björn Andrae redet Klartext. Der Kapitän der DVV-Männer hofft auf eine positive Reaktionen bei der Nationalmannschaft. Foto: CEV

25Oct2011

Björn Andrae: "Jeder muss sich hinterfragen"

Im Pokal unter den ersten Acht, in der Liga fünf Siege in sieben Spielen: Für Nationalspieler Björn Andrae ist die Saison bei seinem russischen Klub Kuzbass Kemerovo gut angelaufen. Alles andere als gut ist die EM verlaufen, als Deutschland schon in der Vorrunde ausschied. Seither steht das Team in der Kritik und musste sich in der November-Ausgabe des volleyball-magazins von Berlins Manager Kaweh Niroomand vorwerfen lassen: „Die jetzige Spielergeneration hat ihren Ursprung vergessen. Die Jungs spielen nicht mehr in erster Linie für den deutschen Volleyball.” DVV-Sportdirektor Günter Hamel, der mit Niroomand in einem Doppelinterview über das EM-Scheitern spricht, sagt: „Unsere Spieler brennen nicht automatisch. Es haben bei der EM Dinge eine Rolle gespielt, die dem Amateurbereich zugeordnet werden können. Befindlichkeiten, weil einer ausgewechselt oder nicht eingesetzt wird.” Im Interview nimmt Andrae Stellung.

Gibt es inzwischen eine Erklärung für das EM-Scheitern?
Zum einen sind es persönliche Gründe. Georg Grozer und ich waren den ganzen Sommer über verletzungsbedingt so gut wie nie dabei. Deshalb konnten wir bei der EM keine tragende Rolle spielen. Aber wir haben auch als Mannschaft nicht mal 80 Prozent gebracht, was möglich gewesen wäre. Es fehlten die Sicherheit und das Spielvermögen.

Wie war das möglich?
Sicher war es ein mentales Problem. Jeder muss sich hinterfragen, warum er nicht mal einen Aufschlag übers Netz bringt. Wir waren als Team nicht perfekt eingestimmt auf die EM. Es gab nicht den zündenden Moment, bei dem jeder wusste, jetzt geht es los.

Hatten Sie sich zu viel vorgenommen?
Von den Einzelspielern her können wir in Europa ganz oben mitspielen. Es wurde von allen verpennt – vom Trainer, von uns, vom Verband – sich vor dem ersten Spiel noch mal zusammenzusetzen und die Ziele klar zu definieren. Vielleicht war das in Lozanos Augen nicht notwendig. Wir haben es verpasst, uns selbst den Startschuss zu geben.

Reichte die Vorbereitung nicht aus?
In Brasilien haben wir guten Volleyball gespielt und hatten auch mal Ablenkung. In Rabenberg mussten wir in einer zu flachen Halle mit eine Glasfront an einer Seite trainieren. Kein Wunder, dass dann die Aufschläge nicht funktioniert haben. Körperlich waren wir alle fit, aber die mentale Vorbereitung war nicht gut genug. Wir hätten energischer rangehen müssen.

Bundestrainer Lozano hat kurzfristig die Aufstellung verändert. Denis Kaliberda stand unerwartet in der ersten Sechs, weil sich Sebastian Schwarz verletzt hatte. Waren Lozanos  Entscheidungen richtig?
Denis wusste mit dem Druck bei einer EM nicht umzugehen, weil er sich eigentlich nicht in der Position gesehen hat. Jeder wusste nicht so richtig, wo er hingehört und was seine Aufgabe ist. Aber der Trainer hat es nun mal so entschieden.

Haben Sie kein Mitspracherecht?
Wir haben einen Mannschaftsrat., aber bei uns wird grundsätzlich keine Entscheidung des Trainers hinterfragt. Wir sind dazu da, um zu trainieren und im Spiel unsere Leistung zu bringen.

Müssen Sie denn nicht reagieren, wenn Sie das Gefühl haben, da läuft etwas aus dem Ruder?
Dem Trainer pfuscht keiner ins Handwerk. Das liegt auch nicht an der Person Lozanos, das gilt für alle Trainer, mit denen ich arbeite. Ich rede auch mit ihm als Spielführer nur über das Notwendigste.

Jetzt soll der Sportpsychologe Wolfgang Klöckner wieder zur Nationalmannschaft stoßen. Eine gute Lösung?
Ja, denn die Mannschaft hat ja danach gerufen. Ich habe schon viele Jahre mit ihm gearbeitet und weiß, dass er uns unglaublich viel Energie geben kann. 

Sportdirektor Hamel sagt, er wisse nicht, ob auch Lozano bereit ist, diese Maßnahme mitzutragen. Was denken Sie?
Das glaube ich auch. Es passt nicht in seine Philosophie. Aber Wolfgang Klöckner soll in erster Linie mit dem Team arbeiten. Das war unter Moculescu auch schon so.

Brennen die deutschen Spieler denn nicht von allein?
Das ist keine Frage deutscher Spieler generell, sondern eine der Mentalität jedes einzelnen. Bei uns wird ja schon immer bemängelt, dass wir zu wenige Emotionen zeigen und nicht aus uns heraus kommen. Wir sind schon immer etwas introvertierter gewesen. Wir sind keine Typen, die nach einem Punktgewinn eine halbe Minute lang rumjubeln. Aber das hat nichts damit zu tun, dass wir nicht genug brennen. Es ist sicher möglich, aus jedem mehr rauszuholen, und das erhoffe ich mir von Wolfgang Klöckners Arbeit.

Marcus Popp will nicht mehr unter Lozano spielen, weil der ihn nicht aufstellt. Klingt nach beleidigter Leberwurst.
Marcus hat sich ungerecht behandelt und nicht gebraucht gefühlt. Deshalb hat er sich so entschieden.

Also sind – wie kritisiert wurde – die persönlichen Befindlichkeiten tatsächlich wichtiger als das Wohl des Teams?
Marcus hat nicht die Chance bekommen, zu zeigen, dass er der Mannschaft helfen kann. Marcus ist keiner, der die anderen runterzieht, aber er wollte sich mit der Rolle nicht zufrieden geben.

Was sagen Sie zu den Vorwürfen von Kaweh Niroomand?
Das finde ich frech, einfach nur unverschämt. Ich habe fast 13 Jahre für Deutschland gespielt, und das alles auf einer freiwilligen Basis. Denn Geld verdiene ich damit nicht. Ich bezahle mit meinem Körper und kann am Ende meiner Karriere vielleicht drei, vier Jahre weniger spielen. Ich werfe jetzt schon Schmerzmittel ein, damit ich für mein Land spielen kann, während andere nach Spanien in den Urlaub fahren. Ich weiß, wo meine Wurzeln sind und muss mir das nicht sagen lassen. Es zeigt, wie viel Ahnung Kaweh Niroomand davon hat, was bei uns passiert.

Anfang November trifft sich die Nationalmannschaft zur Pre-Olympia-Qualifikation. Ist da eine Trotzreaktion des Teams zu erwarten?
Erst einmal wird es schwierig, einen Anfang zu finden. Alle wollen was reißen, aber das EM-Thema ist ja noch nicht verarbeitet. Keiner weiß, was ihn da erwartet. Auch Lozano nicht.

Hatten Sie mal Kontakt mit ihm nach der EM?
Nein, gar keinen.

Hätte der Verband nach der EM einen Schnitt machen müssen?
Es gab ja nicht viele Alternativen. Sicher wird darauf gebaut, dass wir uns wieder zusammenraufen. 

Belastet Sie die Situation?
Sagen wir mal so: Es gibt schönere Situationen. Es muss auf jeden Fall von Trainer und Mannschaft noch eine Aufarbeitung der EM erfolgen. Nur abhaken geht nicht. Wahrscheinlich wird es erst einmal knallen, weil jeder Klartext redet. Ich hoffe, dass das positive Reaktionen in uns hervorruft.

Brennen Sie noch weiter für die Nationalmannschaft?
Wenn ich keine Lust mehr hätte, hätte ich schon vor Jahren aufgehört. Ich brauche die Nationalmannschaft schon lange nicht mehr als Trittbrett für meine Karriere. Mir liegt die Mannschaft am Herzen. Und was, außer der Lust am Spielen für Deutschland, sollte uns noch motivieren. Das Geld kann es nicht sein.

Von:  Klaus Wegener

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