Bundestrainer Vital Heynen und sein Ex-Spielführer Björn Andrae gehen künftig getrennte Wege. Foto: FIVB

21Feb2013

Der Kapitän geht von Bord: Björn Andraes Rücktritt

Eher beiläufig hat Björn Andrae (auf dem Foto mit Bundestrainer Vital Heynen) den Rückzug aus der DVV-Auswahl verkündet. In einer Geschichte auf der DVV-Homepage über sein Leben in Russland, die Olympischen Spiele in London und die Zukunft als Beachpartner von Marcus Popp heißt es: „Als Spieler fand ich in dem neuen System von Vital nie meinen Platz und war auch einfach nicht der Spieler, den er da gern hätte.” Und weiter: „Vital und ich sind uns einfach nicht grün, kann man sagen, und von daher werde ich wohl unter ihm auch kein Nationaltrikot mehr anziehen.”

Im Interview mit vm-Chefredakteur Klaus Wegener spricht Andrae (31), der 280 Länderspiele bestritt, über seine Entscheidung: „Wir hatten viele Gespräche, einmal hat er mir nahe gelegt hat, 2013 zu pausieren. Vital hatte kein Vertrauen in mich, das musste ich akzeptieren. Wenn er auf Annahme-Außen einen Diagonalspieler wie Jochen Schöps einwechselt, ist das ein klares Signal, dass er mir die Aufgabe nicht zumutet. Daher ist der Rücktritt die logische Konsequenz. Wenn mal ein neuer Trainer kommt, der mich haben will, bin ich wieder zu Gesprächen bereit.”

Andrae bestritt sein erstes Länderspiel am 15. Juli 2000 in Regenstauf gegen Venezuela (3:2). Er nahm an den Olympischen Spielen in Peking (9.) und London (5.) teil. In den Jahren 2004, 2005 und 2006 wählten ihn die Leser des Volleyball-Magazins und User dieser Website zum Volleyballer des Jahres.

Herr Andrae, Ihr Rücktritt aus der Nationalmannschaft wurde eher beiläufig in einer Meldung über Ihr Leben im russischen Kemerovo verkündet. Warum lief das so heimlich?
Ich wollte nicht viel Aufhebens darum machen. Es ist ja ohnehin lange her, dass sich mal wieder jemand für die Nationalmannschaft interessiert.
 
Was sind die Gründe für Ihren unerwarteten Abschied nach mehr als zwölf Jahren?
Das letzte Jahr war nicht mein Schönstes. Ich hätte 2013 auf jeden Fall pausiert, aber mit dem zeitlichen Abstand nach den Spielen in London war mir klar, dass ich aufhören werde. Es hat einfach zu viele emotionale und kritische Punkte gegeben.
 
Welche waren das?
Vor der Olympia-Qualifikation in Berlin war ich einer der Wackelkandidaten, eine Woche vorher war ich sogar derjenige, der nicht nominiert werden sollte. Ich hatte wohl eher Glück, als Spielführer noch in den Kader zu rutschen. Das war sehr enttäuschend. Ich habe mich bei den Spielen in London ziemlich zusammenreißen müssen, um der Mannschaft nicht zu schaden. Das war eines meiner härtesten Erlebnisse.
 
In der Meldung heißt es, Sie und Bundestrainer Vital Heynen seien sich nicht grün. Kommen Sie mit ihm nicht klar?
Jeder Trainer hat seinen eigenen Stil. Ich habe versucht, mich seinen Ideen anzupassen. Wenn der Trainer etwas fordert, muss ich reagieren. Ich konnte seine Vorgaben im Training gut umsetzen, aber zum Spielen hat es nicht gereicht. Ich habe dann meinen Faden verloren und keine Leistung gebracht. Das kann ich mir als Kapitän nicht erlauben. Es war deprimierend, ich fing an zu verzweifeln. Ich würde mich nicht aufdrängen und sagen, ich muss spielen. Es geht immer um die Mannschaft und nicht um einen Einzelnen. Aber so wie dann der Sommer weiter lief, war es sehr frustrierend.
 
Haben Sie mit Heynen darüber gesprochen?
Wir hatten viele Gespräche, einmal hat er mir nahe gelegt hat, 2013 zu pausieren. Vital hatte kein Vertrauen in mich, das musste ich akzeptieren. Wenn er auf Annahme-Außen einen Diagonalspieler wie Jochen Schöps einwechselt, ist das ein klares Signal, dass er mir die Aufgabe nicht zumutet. Daher ist der Rücktritt die logische Konsequenz. Für mich war die Nationalmannschaft wie eine Familie, eine Frage der Ehre und der Freude. Ich war immer motiviert, egal, wer sonst noch da war oder um was es gerade ging. Das ist mir in diesem Sommer leider verloren gegangen.
 
In dieser Gefühlslage kann man kaum ein guter Kapitän sein. Braucht Heynen überhaupt einen Spielführer als Bindeglied zur Mannschaft?
Eher nicht. Er ist gern der alleinige Herrscher. Wir hatten viele gute Gespräche, und er hat meine Meinung oder die der Mannschaft verwertet, aber am Ende fand ich als Kapitän nur außerhalb des Feldes statt. Und das ist nicht mein Ding.

Hatten Sie auch auf anderen Ebenen Differenzen mit Heynen?
Man hat gemerkt, dass er bislang nur Vereinstrainer war. Eine Nationalmannschaft ist eine andere Aufgabe. Er wollte beispielsweise den ganzen Sommer über nur mit zwölf Spielern auskommen, und ich habe ihm gesagt, dass das nicht reicht. Es kam leider auch vor, dass Spieler zu Maßnahmen anreisten, aber gleich wieder nach Hause geschickt wurden. Ich war nicht betroffen, aber wir sind eine eingeschworene Gemeinschaft, und wenn ich dann in die Gesichter der Jungs geschaut habe, die wieder fahren mussten, fühlt man mit. Vital hat zwar eingeräumt, dass das Fehler waren, aber bei den Spielern bleibt das hängen. Er hat sie nicht nur verletzt, sondern auch vergrault.
 
Es gab auch Diskussionen um das Betreuerteam für London. Die DVV-Männer sind ohne eigenen Teamarzt angereist.
Dafür hatten wir Vitals Fitnesscoach aus Belgien mit, zwei Physios und zwei Co-Trainer. Zum Glück ist nichts passiert, gegenüber dem Verband hatten wir kommuniziert, wie wichtig uns ein Arzt ist, sind aber nicht gehört worden. Bei den Spielen in Peking haben wir uns darüber aufgeregt, dass so vieles schief gelaufen ist. Das sollte in London besser klappen, aber leider sind wir wieder nicht unter Top-Voraussetzungen gestartet.

Platz fünf klingt gut, aber die Realität sah anders aus.
Wir haben uns nicht mit Ruhm bekleckert. Das Spiel gegen Serbien war sehr gut, dazu kam der Pflichtsieg gegen Tunesien. Aber in allen anderen Spielen waren wir chancenlos, das war das Traurige. Gegen Bulgarien waren wir wie tot, einfach unterirdisch, mit Diskussionen auf der Bank, die man ja auch im Fernsehen verfolgen konnte. Du brauchst bei so einem Event eine gewisse Harmonie und Vertrauen zum Trainer und ins Team. Bei der Weltliga haben wir ja gezeigt, dass wir es können. Die Teilnahme am Weltligafinale war ein super Erfolg.
 
Vital Heynen hatte nicht viel Zeit, das Team kennenzulernen. Er wurde im März präsentiert, im Mai ging es schon los.
Natürlich, in so kurzer Zeit ist es nicht leicht, rauszukriegen, wie der andere tickt. Da passieren Fehler, man sagt etwas Falsches, es gibt Missverständnisse.
 
Hat die Qualifikation für London die kritischen Punkte in den Hintergrund gerückt?
Wahrscheinlich. Wie bei der WM 2010, als wir unter Raul Lozano Achter wurden. Alle haben sich gefreut, aber niemand hat analysiert, dass wir schlechten Volleyball gespielt haben. Weder im Trainerstab noch im Verband. Wir waren auch nicht selbstkritisch genug.

Werden nun neue Lösungswege beschritten, um aus den Fehlern zu lernen?
Keine Ahnung, bei mir hat sich nach London niemand gemeldet. Kommunikation findet nicht statt. Mit Vital hatte ich bis heute keinen Kontakt, mit Sportdirektor Günter Hamel habe ich einmal telefoniert.

Herrscht auch unter den Spielen Funkstille?
Nein, wir pflegen einen ständigen Austausch. Aber vom Verband kam eben nichts, außer dass wir merken, wie viel bei den Frauen und im Beach-Bereich passiert. Aber von einem Programm für die Männer hat noch keiner etwas gehört. Ich wüsste auch nicht, wer da gerade Ansprechpartner ist, nachdem Hamel degradiert wurde. Offenbar gibt es viele Baustellen.
 
Dieser Abgang wirkt irgendwie stillos nach all den Jahren in der Nationalmannschaft.
Ich bin stolz auf diese Zeit und blicke gern zurück. Aber jetzt habe ich mich lange genug gequält. Künftig spiele ich die Hallensaison mit meinem Verein und im Sommer mit Marcus Popp im Sand. Ich kann mir nicht vorstellen, unter Vital Heynen noch einmal das Nationalmannschaftstrikot zu tragen. Er hat auch nicht den Wunsch, dass ich zurückkomme. Klar, den Abgang hatte ich mir anders vorgestellt, aber so ist es nun einmal.

Unter einem anderen Bundestrainer sind Sie wieder ansprechbar?
Wenn der mich haben will, ich in sein Konzept passe und ich dem Team helfen kann, gern.

Werden noch andere Ihren Rücktritt erklären?
Zumindest wollen Georg Grozer, Simon Tischer und Christian Dünnes pausieren oder wenigstens kürzer treten. Und Marcus Popp wird mit mir beachen. Am Ende eines Olympia-Zyklus sind Veränderungen aber auch normal.
 
Haben Sie einen Rat an den Verband, wie er mit der Männerauswahl umgehen sollte?
Kommunikation ist das Wichtigste. Daran hapert es leider immer wieder. Machmal haben wir monatelang nichts gehört, dabei sind wir Spieler untereinander immer in Kontakt. Zudem hatte ich oft das Gefühl, gegen eine Wand zu reden. Von uns wird Professionalität erwartet, aber beim DVV vermisse ich die.
 
Als es um die Suche nach einem Lozano-Nachfolger ging, wollte die Mannschaft Stewart Bernard haben.
Das war ein typischer Fall. Wir haben Stellung bezogen, aber vom Vorstand hat niemand darauf reagiert. Der Vorstand hatte keine Nähe zum Team. Aber dafür bin ich nicht mehr der Ansprechpartner, das ist jetzt Jochen Schöps als neuer Kapitän.

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