Jochen Schöps (2. von rechts) bleibt das Sorgenkind im DVV-Team. Foto: FIVB

20Sep2013

Bundestrainer Heynen vor der EM: Risiken sind einkalkuliert

Olympiasieger Russland ist am Freitag (Spielbeginn 17 Uhr, live auf sport1) der erste Gegner der deutschen Mannschaft bei der Männer-Europameisterschaft in Polen und Dänemark. Im Interview spricht Bundestrainer Vital Heynen über seine Erwartungen und Ziele im ersten Jahr nach den London-Spielen.

Wie ernst ist das gemeint, hier im polnischen Gdynia, dem EM-Vorrundenspielort, den Spaß in den Vordergrund zu stellen?
Naja, so kurz vor der EM, wenn man so dicht dran ist, will natürlich jeder alles gewinnen. Die Siege gegen Italien haben neuen Hunger ausgelöst. Aber ich habe mir im Winter lange die Frage gestellt, wie wir nach den Olympischen Spielen in London die nächsten vier Jahre gestalten wollen. Zum Ende eines Olympia-Zyklus musste man ja damit rechnen, dass von den rund 14 Spielern, drei, vier aufhören oder sich anders orientieren wollen. Dann hätte ich nur noch zehn gehabt und das ist zu wenig zum überleben. Also habe ich klar gesagt, und das ist auch so vom Verband akzeptiert, dass wir in diesem Jahr herausfinden müssen, wer uns in den nächsten vier Jahren helfen kann.

Zudem haben einige Spieler, die schon lange im Trikot der Nationalmannschaft spielen, um eine Pause gebeten.
Ich habe Georg Grozer gesagt, mach mal Ferien, mach einfach mal Urlaub. Simon Tischer musste ich fast zwingen, Pause zu machen. Auch Jochen Schöps hat seine Auszeit bekommen, allerdings habe ich ihn auch gebeten, sich für die Weltliga zur Verfügung zu stellen. Ganz ohne Schöps und Grozer auf der Diagonalposition wollte ich dann doch nicht dastehen.

Die Umstellungen scheinen gut funktioniert zu haben, das zeigten die Ergebnisse der Weltliga.
Es ist in der Weltliga viel, viel besser gelaufen, als wir alle gedacht haben. Es hätte passieren können, dass wir in den Poolmatches kein Spiel gewinnen. Am Ende waren es fünf Siege in zehn Spielen.

Haben Sie nicht Angst, dass die Anspannung zu niedrig ist oder der Ehrgeiz gedrosselt wird, wenn Sie sagen, die EM ist nicht so wichtig in diesem Jahr?
Natürlich weiß ich, dass das Folgen haben kann. Das Risiko muss ich eingehen. Maximale Anspannung war im letzten Jahr notwendig, da mussten wir bei den Olympischen Spielen und auch bei der EM-Qualifikation voll da sein. Aber die erste nacholympische Saison ist die Zeit der Wechsel. In 2014, 2015 und 2016 geht das nicht.

Nach der Weltliga hatte das Team Regenerationszeit bis zum 15. August, dann erst begann die EM-Vorbereitung. Reichte die Zeit?
Ich habe mir selbst die Regel auferlegt, in dem ich das vor der Saison so festgelegt habe. Wir hatten exakt 35 Tage Vorbereitung auf dieses Turnier, das sind ein bis zwei Wochen weniger als alle anderen Mannschaften zur Verfügung hatten. Lange Zeit hatte ich das Gefühl, dass es nicht reicht, um gut vorbereitet zu sein für die EM. Aber es wurde in dieser Phase sehr bewusst und konzentriert trainiert. Ich hatte die Sorge, dass ich mir zu viel für das Team vorgenommen habe, aber die Jungs haben gesagt, das passt schon, wir werden noch Extraschichten einlegen und gucken, wie weit wir kommen.

Die letzten beiden Testspiele gegen Italien haben gezeigt, dass das Team doch nicht so unzureichend vorbereitet ist.
Wir haben Italien, uns selbst und wahrscheinlich die ganze europäischen Volleyball-Szene überrascht mit den zwei Siegen gegen den Olympia-Dritten. Vier Tage vor der EM verliert kein Team gern mit 0:3. Vor den beiden Tests wäre ich schon mit einem Sieg und einer Niederlage zufrieden gewesen. Eine Woche vorher haben wir noch beim Wagner Memorial in Polen klare 0:3-Niederlagen kassiert. Aber gegen Italien lief einiges anders, beispielsweise in Block-Abwehr. Ich war echt überrascht. Aber ich bleibe dabei: Nicht das Resultat bei der EM ist das wichtigste, sondern die Frage: Wir haben wir uns präsentiert, wie hat sich das Team in diesem Jahr entwickelt? Das Ziel der EM ist es zu schauen, wo die Mannschaft und jeder einzelne jetzt steht.

Zumal die Vorrundengegner und die möglichen Konkurrenten in den Play-offs und im Viertelfinale nicht von Pappe sind.
Klar, wir haben Russland in unserer Gruppe und als ersten Gegner. Und aus Pool B kommt Polen auf uns zu, wenn alles normal läuft. Also zwei Teams, die das Finale erreichen können. Um bei der EM unter die ersten Vier zu kommen, müssten wir das beste Team der Welt oder den Gastgeber schlagen. Da kann sich jeder ausrechnen, wie schwer das ist. Es braucht ein Wunder, das hinzukriegen. Wenn wir ins Halbfinale kämen wäre das gleichzusetzen mit dem EM-Titel.

Zumal die personelle Ausgangslage nicht optimal ist. Georg Grozer steht nach seiner Schulteroperation noch am Anfang, Jochen Schöps plagt sich mit einer Bauchmuskelverletzung herum.
Georg ist noch nicht wieder auf Topniveau. Aber er kommt immer besser rein, er spielt gut mit und nimmt seine neue Rolle weiter an. Im letzten Jahr hatte er stets sehr viele Bälle bekommen und musste oft die Hauptlast tragen. Jetzt soll er sich lieber auf die wichtigen Angriffe oder Aufschläge konzentrieren, statt alles machen zu müssen. Nicht jeder Aufschlag muss ein Ass sein, nicht jeder Angriff muss knallhart sein. Wichtig ist auch, dass er im Block-Abwehrbereich mitarbeitet.

Wie sind die Aussichten auf einen Einsatz von Spielführer Jochen Schöps?
Wir müssen realistisch bleiben und darauf hoffen, dass er uns in der zweiten Runde helfen kann.

In 2014 ist die WM das Highlight, für das sich Team Deutschland im Januar bei einem Qualifikationsturnier das Ticket sichern kann. Sind die Gegner und der Spielort schon bekannt?
Das wird wohl erst Mitte Oktober von der FIVB bekanntgegeben. Für uns ist die WM-Teilnahme viel wichtiger als die EM, weil wir dort die Ranglistenpunkte sammeln können, die wir brauchen, um für die Olympia-Qualifikation eine bessere Ausgangsposition zu haben. Das ist ein langer Prozess, aber ich muss das bei unseren Planungen berücksichtigen.

Am letzten Wochenende hat sich Ihr Team das EM-Finale der Frauen in der Berliner Max-Schmeling-Halle angeschaut. Was haben Sie von dort mitgenommen?
Die Erkenntnis, dass es fast 9000 Zuschauer in der Halle gab und das Fernsehen live übertragen hat. Ich habe das Gefühl, dass man mit Volleyball etwas machen kann in Deutschland.

Von:  weg

volleyball magazin - inhalt und probelesen
Wir auf Facebook
VM Probeheft
philippka shop
Leistungsreserve Athletiktraining
DVD • funktionelles Athletiktraining