Die DVV-Frauen erleben ihr Debakel

Das Ende für den Bundestrainer Siegfried Köhler

Ende Oktober beginnt in Japan die WM der Frauen. Bereits 1998 war das Land in Fernost Gastgeber der Titelkämpfe, die damals für die Deutschen mit einer Blamage endeten. Nach der Niederlage gegen den krassen Außenseiter aus der Dominikanischen Republik und den Klatschen gegen Brasilien und Russland fuhren die Spielerinnen Kapitän Sylvia Roll bereits nach der Vorrunde heim. DVV-Präsident Werner von Moltke war entsetzt vom Auftreten und machte Nägel mit Köpfen: Er entließ Bundestrainer Siegfried Köhler, der fortan als Sportdirektor firmierte. Köhlers Nachfolger wurde Hee Wan Lee. Auch bei den Männern wurde der Bundestrainer ausgetauscht: Olaf Kortmann ging, Stelian Moculescu kam. Übrigens: Weltmeister wurde in Japan die Übermannschaft aus Kuba. Bleibt zu hoffen, dass es die deutschen Frauen zwölf Jahre später besser machen.


Als der letzte Ball im Spiel gegen Brasilien zu Boden gefallen war, und das Debakel bei der Weltmeisterschaft für die DVV-Frauen endgültig seinen Lauf genommen hatte, war Siegfried Köhler kaum noch wahrzunehmen. In sich zusammengesunken saß der Bundes­trainer auf der Bank. Grau, blaß, zu keiner Regung fähig. Es hätte wohl kaum jemanden im ,Matsumoto City Gymnasium’ gewundert, wenn zwei Ordner gekommen wären, und den 54jährigen aufgehoben und ins Wachsfigurenkabinett getragen hätten. 

Aus Köhler war für kurze Zeit jegliches Leben gewichen, so sehr hatten ihn die Darbietungen seiner Spielerinnen mitgenommen. Tatsächlich war die Art, wie sich die Mannschaft beim Gipfeltreffen der weltbesten Teams präsentierte, durchweg blamabel. Das Desaster nahm seinen Lauf, als die DVV-Frauen gleich die Auf­taktbegegnung gegen die Dominikanische Republik verloren. 

Eine Niederlage, die ebenso brutal wie fatal war, bedeutete sie doch praktisch schon das Aus. Denn niemand konnte von dieser deutschen Mannschaft ernsthaft annehmen, daß sie gegen die übrigen Vorrundengegner Rußland und Brasilien auch nur den Hauch einer Chance haben würde. 

Dabei hatte die Begegnung gegen die Dominikanische Republik so verheißungsvoll begonnen: 15:1 gewann die deutsche Sechs den ersten Satz und profitierte dabei von der Schwäche eines total verunsicherten Gegners. Warum die DVV-Auswahl in der Folgezeit das Spiel aus der Hand gab, blieb 

allen Beteiligten unverständlich. Und das gegen einen allenfalls zweitklassigen Gegner, der als internationale Referenz bislang die Plätze 21 und 19 bei den Weltmeisterschaften 1974 und ’78 vorzuweisen hatte und im weiteren Turnierverlauf kein Spiel mehr gewann.

Spielverständnis, mannschaftliches Auftreten, Athletik, Kampfbereitschaft und Leidenschaft – die deutsche Mannschaft zeigte keine dieser Tugenden. Nicht einmal, als sie im Tie-break die Chance hatten, bei zwei Match-bällen die Katastrophe doch noch abzuwenden, ergriffen die DVV-Frauen diesen Strohhalm. 

Für Susanne Lahme war das Versagen vor allem eine Frage der Psyche: „Wir haben als Mannschaft kein Format, wenn wir unter Druck stehen.” Der Italien-Profi zeigte sich entsetzt, vom Zustand ihrer Mitspielerinnen: „Professionalität und Einsatzbereitschaft mangelhaft”, lautete ihr vernichtendes Urteil. 

Dazu kommt die fehlende technische Ausbildung. Susanne Lahme fand die „fehlende Ballsicherheit erschreckend” und kritisierte die Arbeit der Klubs: „Die Bundesliga bietet einfach viel zu wenig an.” 

Auch sonst waren die Voraussetzungen für Köhler nicht erfolgversprechend: Gerade einmal vierzehn Tage bekam er von den Erstligisten eingeräumt, um sein Team für die WM einzuspielen. Die im Ausland beschäftigten Profis stießen sogar erst zehn Tage vor Turnierbeginn zur Mannschaft. So wenig Zeit hatte kein anderer Coach zur Verfügung. „Ich hatte vier Wochen mit meinen Spielerinnen, und schon das hat vorne und hinten nicht gereicht”, sagte Brasiliens Trainer ,Bernadinho’. Dessen russischer Kollege Nikolai Karpol hatte für die minimalistischen Deutschen nur Hohn und Spott übrig.

„Das ganze System stimmt nicht”, hat auch Zuspielerin Tanja Hart erkannt. Dennoch reicht es nicht, das Dilemma nur an den mangelhaften Bedingungen festzumachen. Mannschaft und Trainer hätten einen Gegner wie die Dominikanische Republik auch ohne Vorbereitung in Straßenkleidung schlagen können, wenn Einstellung und Betriebsklima gestimmt hätten. Doch die Spielerinnen präsentierten sich in Japan ohne Biß und Ausstrahlung. Vor allem Spielführerin Sylvia Roll war völlig außer Form. Im so wichtigen Spiel gegen die Dominikanische Republik versagten der ,Volleyballerin des Jahres’ die Nerven und sie traf kaum einen Ball.

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